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Marios hartnäckige Lästern zeigt Wirkung: Im Abfluss der Dusche sammeln sich riesige Mengen an Beinbehaarung während ich mir für meine zweite Teilnahme am 3 Länder Giro den Pelz von den Beinen rasiere. In knapp zwei Stunden kommen Hans-Jochen Hägele (Jupp), der in diesem Jahr kaum ein Zeitfahren auslässt, und Andreas Moser von den Perchtinger Rennradlern bei mir vorbei. Dann geht’s nach Nauders zur Nudelparty. Am nächsten Morgen wird um 6:30 Start sein für die 172km und 3300 Hm, die sich von Nauders über den Reschenpass, knapp 1900 Hm das Stilfser Joch hinauf, hinüber zum Umbrail Pass, die Naturstrasse hinunter nach St. Maria und weiter über den Ofenpass bis ins Engadin und zurück nach Nauders erstrecken. Die 40 km im Engadin läuft es fast immer leicht bergab hinaus nach Martina, wo es zum Schluss nochmals gut 400 Hm hinauf zur Norbertshöhe geht. Von dort ist man dann nach kurzer, rasanter Abfahrt auch gleich im Ziel.

Bild1 Unsere Nudelparty

Bild2 Starterfeld

Bild3 Christofero, Jupp, Andi (v.l.n.r)

Bild4 Jupp am Beginn des Stelvio

Auf der Autofahrt sehen wir vor Oberau kurz Lupo, wie er auf der Gegenfahrbahn an uns vorüber zischt. Am Alpenhauptkam brauen sich die ersten Gewitter zusammen, um kurz vor 17:00 Uhr kommen wir in Nauders an.

Die Nudelparty ist nichts Besonderes: Die Portionen sind gerade ausreichend, und die Nudeln haben "al dente" deutlich verpasst. Also veranstalten wir am Bus bei einsetzendem Gewitter unsere eigene Nudelparty. Danach werden noch die Sachen für morgen vorbereitet und es geht ab in die Schlafsäcke. Andi hat leider Pech und bekommt einen Migräneanfall; an Schlaf ist für ihn kaum zu denken. Auch Jupp, der uns von seinen nächtlichen Sägereien verschonen möchte und draußen schläft, wird von Sturzbächen zum Umzug in den Bus genötigt.

Am nächsten Morgen um 5:15 Uhr ist die Stimmung bedrückt: Andi spürt die schlechte Nacht und das vorhergesagte schöne Wetter zeigt sich mit leichtem Regen und kalten Temperaturen. Doch um 5:45 entscheidet sich Andi dazu, doch zu starten. Ohne Frühstück im Magen möchte er einfach mal sehen, was so geht. So kommen wir etwas später als geplant an den Start und reihen uns relativ weit hinten ein. Der letzte Wetterbericht kündigt doch noch föhniges Wetter an und mit all den Radlern, die im kurzen Trikot, bzw. ohne umfangreichen Wetterschutz am Start stehen, kann es gar nicht schlecht werden. Jupp und ich machen nach dem Start gleich einige Plätze gut, Andi lässt es verständlicher Weise gemütlicher angehen. Nachdem mir Jupp beim Zeitfahren regelmäßig Zeit abnimmt, ist die Spannung groß, ob ich mich über die langen Distanzen revanchieren kann freundschaftliche Konkurrenz :-). Vom Reschen hinunter ist die Strasse nun schon wieder trocken, was die Abfahrt sicherer macht – mein Sturz am Peissenberg auf nasser Strasse spukt doch noch im Kopf herum.

Kurz vor der ersten Labe in Trafoi habe ich das Gefühl, dass Jupp nicht mehr am Hinterrad hängt. Bis hierher hatte es schon einige steile Rampen und möglicher Weise macht ihm seine optimistische Übersetzung von min. 39/23 schon zu schaffen? Für das Stilfser Joch rechne ich mit etwa zwei Stunden und fülle noch mal eine Flasche auf, um hierfür zwei volle Flaschen zu haben. Noch dazu muss ich meine Satteltasche neu befestigen, da sich das Gurtband gelockert hat. Von Jupp keine Spur, also nehme ich alleine die 44 Kehren auf den Stelvio in Angriff.

Camarete Noch zweifelhaftes Wetter
Ich finde meinen Tritt und überhole stetig einen Fahrer nach dem anderen. Es ist immer noch bewölkt und kühl, aber man kann die Sonne immer öfter erahnen und es herrschen ideale Bedingungen. Es macht unheimlich viel Spaß mit meinem neuen Kuota Kharma hinauf zu ziehen und die Landschaft zu genießen - zumindest im Kopf habe ich "Sonne in den Speichen".

Markus Markus (links)
Etwa 500 Hm unter der Passhöhe gesellt sich ein Fahrer neben mich und schaut. Auf meine Frage, was so interessant sei, antwortet er, dass er schon länger hinter mir her fahre und wir beide dasselbe Tempo fahren. Er wolle sich meine Startnummer merken, um zu sehen, wie es uns letztendlich ergangen ist. Um sicher zu gehen, dass wir in Kontakt bleiben, fotografiere ich ihn gleich einmal und wir kommen, stetig zum Stelvio fahrend, ins Gespräch. Markus ist überrascht von seiner Zeit am Stelvio, er hatte deutlich mehr erwartet. Ich bin froh, dass es mir recht gut geht, sehe aber, dass mein Ziel, knapp über sechs Stunden zu fahren kaum noch zu schaffen ist, denn es wartet noch der Ofenpass.

Ortlerblick Blick zum Ortler
Bei der Abfahrt nach St. Maria bin ich etwas schneller als Markus und fahre meinen Stiefel in Richtung Ofenpass. Wieder überhole ich Fahrer der kurzen Runde und bald ziehe ich etwa 10-15 Fahrer in Richtung Labestation. Ich schere aus, um die Führungsarbeit abzugeben, und Markus ist wieder da! Cool, wir schauen, ob wir harmonieren und wollen nun so lang als möglich zusammenfahren. An der Labe wartet Markus kurz auf mich, bis ich mein Malto-Pulver ausgepackt habe. Dann geht’s weiter hinauf. Mittlerweile spür ich die Km deutlich in den Beinen und bin über jeden Meter froh, den Markus führt. Von den Anderen, die sich wieder hinter uns sammeln, fährt kaum einer vorn. An der letzten Rampe hinauf zum Ofenpass muss ich dann fast abreißen lassen - Hollaritti, das ging jetzt aber schnell: Gerade noch geführt und nun fast geplatzt... Nun ist auch nicht mehr an fotografieren zu denken Aber nun geht es ja erstmal länger bergab, bevor der Gegenanstieg zur letzten Abfahrt hinunter nach Zernez kommt.

Blick zur¨ck Blick zurück: Stelvio
Dort füllen wir nochmals die Flaschen auf, entledigen uns unnötigen Ballastes und passen genau eine etwa 20 köpfige Gruppe ab, mit der wir die 40 km im Engadin hinausrauschen wollen. Bald bin ich im Wind und führe mit etwa 38km/h. ca. 1,5 km eine leichte Steigung hinauf. Als ich deutlich an Geschwindigkeit verliere schere ich aus. Am Ende der Gruppe komme ich erneut kaum in den Windschatten: Aus dem Sattel gegangen kämpfe ich mich mit krampfenden Oberschenkeln wieder heran. "Alles klar", denke ich, "Das war’s mit Tempomachen. Schau’, dass Du im Windschatten das Engadin hinauskommst. Sonst werden die 400 Hm hinauf nach Nauders eine Qual.". Gedacht, getan: Markus und ich halten uns dezent im Mittelteil unserer Gruppe auf, während sich im Wesentlichen vier Leute die Arbeit vorne teilen. Ein großes Dankeschön an Euch! Jeder in der Gruppe scheint froh darüber zu sein, einigermaßen gemütlich voran zu kommen, und so macht niemand Tempo, wenn es mal etwas langsamer wird. Nun gut, ich bin auch froh, vielleicht hätten sich so aber noch ein paar Minuten rausholen lassen.

Applaus Applaus am Stelvio
Erst 2 km vor Beginn des Anstiegs zur Norbertshöhe werden wir von einer schnellen Gruppe eingeholt. Dort angekommen meint Markus, ich solle meinen Stiefel weiterfahren. Ich sei am Berg einen Tick schneller als er. Das Feld sprengt sich: Einige machen noch einen Abstecher zur letzten Labe, ich nehme jedoch den letzten Schluck aus meiner Flasche und fahre ohne weiteres Gewicht in der Mittagssonne die 11 Kehren hinauf. Vorne gibt es noch einen Kampf zwischen drei der Fahrer, die unsere Gruppe führten, um die letzte Bergwertung. Irgendwann kann der Typ im gelben Trikot (bezeichnend) davon ziehen. Mir gelingt es nochmals Plätze gutzumachen und ich kann auch den Konter eines anderen Fahrers abwehren. Kurz vor der Norberthöhe bin ich bis auf 15 Meter an die Plätze 2 und 3 unserer Gruppe herangefahren und lasse es mir nicht nehmen, sie kurz vor der Passhöhe noch zu überholen. Das konterten sie jedoch in der Abfahrt. Da sie im Engadin auch das Tempo machten, und die zwei Plätze hin oder her auch egal sind, attackierte ich nicht weiter. So komme ich mit einer Zeit um 6:40 ins Ziel. Wie immer vergaß ich erstmal die Stoppuhr zu drücken und überhaupt auf die Uhr zu schauen. Markus kam mit seinem prognostizierten Abstand von etwa 5 Minuten ins Ziel.

Nauders Zurück in Nauders
Doch wie erging es Jupp und Andi? Ich hänge einige Zeit im Zielraum herum, lasse mich massieren, hole mein Finisher Trikot, verabschiede mich von Markus, trinke Wasser und genieße die Stimmung. Von Jupp ist nichts zu sehen. Also fahre ich zum vereinbarten Treffpunkt am Bus. Dort hänge schon die Klamotten von Jupp in der Sonne, er kommt gerade vom waschen. Die erste Labe am Stelvio ließ er aus, hatte aber mit seiner langen Übersetzung zu kämpfen. Nach dem Stilfser Joch bekam er immer wieder Krämpfe in den Beinen und er musste zweimal stehen bleiben, um sich die Beine zu massieren. Im Engadin fand er keine Gruppe und musste größten teils alleine im Wind fahren. Die Zeit? Irgendwas um 6:49, vielleicht. Wir ziehen uns um und warten einige Zeit auf Andi. Wir sind gespannt, ob er die Runde durchstand. Keiner von uns hätte in seinem Zustand heute Morgen losfahren wollen. Als wir uns ernsthaft damit beginnen, uns Gedanken zu machen, kommt er auf den Parkplatz geradelt: "Der härteste Tag meines Lebens – Erst ab dem Stilfser Joch konnte ich etwas essen, im Engadin musste ich durch zwei heftige Gewitterschauer…"

Während bereits wieder ein Gewitter anrückt packen wir unsere Räder ein, Jupp holt noch sein Trikot und dann geht es ab nach Hause. Wir sind alle begeistert von der Veranstaltung und im Nachhinein wurde ja für jeden alles gut. Am Fernpass geht im Gewittersturm die Welt unter, in Penzberg schaffen wir es gerade noch vor dem Regen die Räder umzuladen. So geht ein schöner Tag zu Ende, an dem ich zu Beginn schon befürchtete, meine frisch rasierten Beine in den Beinlingen versteckt durch die Gegend fahren zu müssen.

Am Montag bringt die Webseite Aufklärung über die Zeiten:

228. Christofero 6:39:59
264. Markus 6:46:21
329. Jupp 7:00:29
786. Andi 9:10:10

Christoph Leiter
Last modified: Fri Mar 7 16:58:27 MET 2008